EU-Versandapotheken unterliegen bei der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel ebenso der deutschen Arzneimittelpreisbindung wie deutsche Apotheken.
Im Hinblick auf den Zweck des Arzneimittel- und Apothekenrechts, die Wirkung von Arzneimitteln zu ermöglichen und vor den mit ihrer Anwendung verbundenen Risiken zu schützen, liegt eine Abgabe im Sinne des § 78 AMG dann vor, wenn durch einen auf ein Arzneimittel bezogenen Vorgang bewusst und gewollt die Möglichkeit einer eigenen Verwendung in Form der Anwendung oder Weitergabe des Mittels durch einen anderen als den bisherigen Inhaber der Verfügungsgewalt geschaffen wird. Bei “Abholmodellen” liegt der Ort der Abgabe daher zwar grundsätzlich dort, wo die vom Empfänger mit der Abholung beauftragte Person das Mittel abholt; es ist jedoch jeweils zu prüfen, ob tatsächlich eine dem unmittelbaren Besitz vergleichbare Zugriffsmöglichkeit besteht und ob die Regelung nicht allein der Umgehung zwingender apothekenrechtlicher oder arzneimittelrechtlicher Vorschriften dient. Dies ist dann der Fall, wenn eine hinsichtlich des Erfüllungsorts getroffene Regelung ersichtlich der Umgehung des deutschen Arzneimittelpreisrechts dient.
Der Gemeinsame Bundesgerichtshof der obersten Gerichtshöfe des Bundes hat die ihm vom Bundesgerichtshof vorgelegte Frage bejaht, ob die deutschen Vorschriften für den Apothekenabgabepreis auch für verschreibungspflichtige Arzneimittel gelten, die Apotheken mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union im Wege des Versandhandels nach Deutschland an Endverbraucher abgeben. In Übereinstimmung damit hat der Gesetzgeber durch die mit Wirkung vom 26.10.2012 in Kraft getretene Regelung des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG zusätzlich klargestellt, dass die auf der Grundlage des § 78 Abs. 1 Satz 1 AMG erlassene Arzneimittelpreisverordnung auch für gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a AMG in den Geltungsbereich dieses Gesetzes verbrachte Arzneimittel gilt.
Bei der Werbung und beim Versand von Arzneimitteln aus dem EU-Ausland an Endverbraucher in Deutschland liegt auch der Marktort im Inland, da hier die von diesen ausgehenden Wirkungen auftreten. Nach dem solchenfalls anzuwendenden deutschen Recht beim Versandhandel mit Verbrauchern ist die Vorschrift des § 447 Abs. 1 BGB gemäß § 474 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht anwendbar, wenn es sich wie beim Versandhandel mit Arzneimitteln um einen Verbrauchsgüterkauf handelt, und dass der Erfüllungsort für die Verpflichtung des Verkäufers in einem solchen Fall daher der Wohnsitz des Käufers ist, weshalb den Verkäufer insoweit eine Bringschuld trifft.
Damit widerspricht der Bundesgerichtshof der Ansicht, im vorliegenden Falle einer niederländischen Versandapotheke liege keine Bringschuld, sondern eine Holschuld vor, weil nach § 7 (Satz 1) der auf der Rückseite des Bestellformulars abgedruckten Allgemeinen Geschäftsbedingungen der niederländischen M. Apotheke, deren Kenntnisnahme der Kun- de auf der Vorderseite des Formulars schriftlich zu bestätigen hatte, Erfüllungsort der Geschäftssitz des Verkäufers war, so dass Marktort daher der Sitz der niederländischen Apotheke sei, weil die von deren Handel ausgehenden Wirkungen grundsätzlich dort aufträten; dass die Kunden bei Inanspruchnahme des angebotenen Transportservices die von ihnen bestellten Medikamente in einer der teilnehmenden Apotheken in Deutschland abzuholen hätten, stehe dem nicht entgegen.
Nicht abschließend entschieden zu werden braucht in diesem Zusammenhang die Frage, ob die Bestimmung des § 7 Satz 1 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der niederländischen M. Apotheke wegen unan- gemessener Benachteiligung der Kunden gemäß §§ 307, 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB unwirksam ist. Dasselbe gilt für die Frage, ob diese Bestimmung nach den Umständen so ungewöhnlich ist, dass die Kunden nicht mit ihr zu rechnen brauchen und sie daher gemäß § 305c Abs. 1 BGB nicht Vertragsbestandteil wird. Die dort enthaltene Bestimmung über den Erfüllungsort steht im Gegensatz zu dem von der Versandapothke zusammen mit dem Bestellformular verwendeten Prospekt, in dem die Kunden in werbewirksamer Weise darüber informiert werden, dass sie beim Geschäftsmodell der Versandapothke bei im Inland preisgebundenen verschreibungspflichtigen Arzneimitteln 10% sparen, wenn sie nur – bei ansonsten gleichem Service – 0, 50 € pro Bestellung für den Transport der Mittel bezahlen und sich außerdem darauf einlassen, dass sie diese erst am nächsten Tag in den Apotheken der Versandapothke abholen können.
Unabhängig von den Bedenken, die danach aus zivilrechtlicher Sicht gegen das in Rede stehende Geschäftsmodell sprechen, das die dabei mit den Versandapothke kooperierende niederländische M. Apotheke betreibt, führt dieses Geschäftsmodell nicht aus dem Anwendungsbereich der für den hier in Rede stehenden Rechtsbruchtatbestand gemäß §§ 3, 4 Nr. 11 UWG maßgeblichen öffentlichrechtlichen Bestimmung des § 78 AMG heraus. Im Hinblick auf den Zweck des Arzneimittel- und Apothekenrechts, die Wirkung von Arzneimitteln zu ermöglichen und vor den mit ihrer Anwendung verbundenen Risiken zu schützen, liegt eine Abgabe im Sinne dieser Bestimmung dann vor, wenn durch einen auf ein Arzneimittel bezogenen Vorgang bewusst und gewollt die Möglichkeit einer eigenen Verwendung in Form der Anwendung oder Weitergabe des Mittels durch einen anderen als den bisherigen Inhaber der Verfügungsgewalt geschaffen wird. Bei Abholmodellen wie dem, das die dabei mit der niederländischen M. Apotheke zusammenarbeitenden Be- klagten praktizieren, liegt der Ort der Abgabe danach zwar grundsätzlich dort, wo die vom Empfänger mit der Abholung beauftragte Person das Mittel abholt. Bei entsprechenden Gestaltungen ist jedoch jeweils zu prüfen, ob tatsächlich eine dem unmittelbaren Besitz vergleichbare Zugriffsmöglichkeit besteht und ob zudem keine Gestaltung vorliegt, die allein dazu dient, zwingende apothekenrechtliche oder arzneimittelrechtliche Vorschriften zu umgehen. Dies ist bei dem im Streitfall zu beurteilenden Geschäftsmodell der Fall; denn die hier hinsichtlich des Erfüllungsorts getroffene Regelung dient ersichtlich allein der Umgehung des deutschen Arzneimittelpreisrechts und damit auch der Vereitelung der mit der dortigen Regelung verfolgten Ziele wie insbesondere der Sicherung der flächendeckenden und gleichmäßigen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln.
Der Streitfall lässt sich in dieser Hinsicht nicht mit dem Fall vergleichen, der der BGH-Entscheidung “Europa-Apotheke Budapest” zugrunde gelegen hat. Der Bundesgerichtshof hat dort lediglich die allein im Blick auf nicht preisgebundene Arzneimittel geltend gemachten Verstöße gegen das Verbringungsverbot des § 73 Abs. 1 Satz 1 AMG und gegen berufsrechtliche Bestimmungen verneint. Er hat dabei insbesondere auch festgestellt, dass die von den dortigen Klägerinnen beanstandete Verhaltensweise der Versandapothke namentlich nicht den Schutzzwecken widersprach, denen die vermeintlich verletzten Rechtsvorschriften dienten.
Wie der Bundesgerichtshof mittlerweile entschieden hat, ist ein Verstoß gegen die Bestimmungen des § 78 Abs. 2 Satz 2 und 3, Abs. 3 Satz 1 AMG, § 1 Abs. 1 und 4, § 3 AMPreisV geeignet, die Interessen von Mitbewerbern und sonstigen Marktteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen, wenn der Wert der für den Bezug eines Arzneimittels gewährten Werbegabe einen Euro übersteigt.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 26. Februar 2014 – I ZR 77/09